1914 - Die singenden Sportler

Von Heiko Hofmann
Gemeinsam Sport zu treiben, das schweißt zusammen. Und doch ist der sportliche Wettbewerb nur ein Aspekt der Vereinsgeschichte des VfL Nagold. Ohne Geselligkeit kann auch ein Sportverein nicht lange überleben. In der 175-jährigen Geschichte des VfL Nagold wird nicht nur oft und ausgiebig gefeiert. Es wird auch viel gesungen. Der Verein hat sogar eine eigene Sängerriege. Im Jahr 1914 entsteht dieses Foto. Es zeigt die Sängerriege des TV Nagold. Es ist eines der wenigen Fotos überhaupt von dieser eigenständig geführten Abteilung des Turnvereins. Und es ist das letzte offizielle Sängerfoto im Archiv des VfL.

Stand heute zumindest. Denn gut möglich, dass noch weitere Bilder von sangesfreudigen Sportlern bestehen. Das ist sogar wahrscheinlich. Denn gesungen wird noch viele Jahre weiter. Auch im Sportverein. Gerne bei geselligen Anlässen, und auch noch nach dem zweiten Weltkrieg in den Reihen des VfL Nagold.

Die hier abgebildeten Sänger der Sänerriege sind auch nicht die ersten Sangesbrüder im 1847 gegründeten Turnverein. Aus dem Frühjahr 1865 ist eine Protokollnotiz überliefert, dass nun wieder Gesangsübungen abgehalten werden sollen. Und weiter heißt es »nach Absingen einiger Lieder und allgemein geselliger Unterhaltung geht die Versammlung auseinander«. Sehr wahrscheinlich, dass sich die sangeswilligen Turner regelmäßig zu Proben treffen. Aus dem Jahr 1868 weiß man, dass ein Schulmeister sich bereit erklärt, den Sing-Unterricht zu übernehmen – gegen »eine billige Belohnung«. Von wöchentlich einer Stunde ist die Rede.

Doch so richtig Zug scheint man bei den Sportlern dann doch nicht in die Sänger-Sache zu bekommen. Es ist jedenfalls auffällig, wie oft das Thema immer wieder im Vorstand besprochen werden muss. Das zeigt natürlich auch, welch hohen Stellenwert der gemeinsame Gesang eigentlich einnimmt. Meist aber scheint es an willigen Dirigenten und Chorleitern zu fehlen.

Fast schon tragisch vor diesem Hintergrund ist das Geschehen im Jahr 1884: Da wird im April »mit Freuden begrüßt«, dass das Mitglied Kohler die Leitung der Singstunden übernimmt. In »kürzester Zeit« soll mit dem Vorhaben begonnen werden. 20 Singheftchen schafft der Verein eigens für den Neustart an. Und 21 Mitglieder wollen dem Gesang beim TV Nagold frönen. Ach, alles könnte so schön sein - doch das Glück währt nur kurz. Am 22. Oktober desselben Jahres trifft man sich zu einer außerordentlichen Versammlung. Der Grund: Drei Tage zuvor kam es zu einer Gasthaus-Schlägerei unter »den Mitgliedern des Vereins«. Zwei Mitglieder treten in der Folge aus. Und einer legt seine Ämter nieder – eben besagter H. Kohler, damals Turnwart und eben erst frisch berufener Dirigent. Der Vorstand bedauert den Rücktritt und verweist unter anderem darauf, dass damit auch der erst vor kurzem ins Leben gerufene Gesangsverein »wieder zu Grabe getragen ist«.

Doch so traurig soll der Rückblick auf die Gesangsabteilung des Vereins nicht enden. Es kommen wieder bessere Zeiten. Aus dem Jahr 1903 weiß man, dass einmal in der Woche immer montags geprobt wird. Und aufgetreten sind die Sänger auch – unter anderem bei den Weihnachtsfeiern des Vereins. Die Singstunde wird 1903 durchschnittlich von 16 Sängern besucht, die Mitgliederzahl bei den Sängern liegt bei 25. Wer zu spät kommt, hat übrigens fünf Pfennig Strafe zu zahlen.

Weihnachtsfeiern, Ausflüge, Fastnachtsbälle – die Sänger treten zu den unterschiedlichsten Anlässen auf. Nicht nur in Nagold. Auch bei Veranstaltungen befreundeter Vereine, wie zum Beispiel 1905 in Altensteig.

Dass dem einen oder anderen Vereinsmitglied der Gesang womöglich wichtiger ist als seine turnerischen Übungen sorgt durchaus für Probleme. Viele der stimmgewaltigen Nagolder Sportler sind nämlich auch im Liederkranz als Sänger aktiv. Und wenn beim Liederkranz ein Wettbewerb ansteht, dann geht das nicht nur zu Lasten der Gesangsstunde beim TV Nagold – auch der Turnstundenbesuch leidet darunter.

Es gibt also Spannungen und Eifersüchteleien zwischen dem TV Nagold, seiner Sängerriege und dem Liederkranz. Dennoch kommt es 1911 nicht zur Auflösung der Gesangsabteilung. Ein Jahr später stellt man sich gar einem Wettsingen und feiert stolz die Benotung mit »1b«. Wie gut das ist? Nun, »für ein erstes Auftreten voll befriedigend«, erwähnt der Protokollant. Zwei Jahre später entsteht dieses letzte offizielle Foto der Sänger des TV Nagold. Ebenfalls 1914 enden die Einträge ins Protokollbuch der Sängerriege.