1946: Ein Kommen und Gehen

Der VfL Nagold und seine Abteilungen / Eine Nachkriegsgeschichte von Heiko Hofmann

Turnen, Fußball, Handball, Leichtathletik, Schwimmen, Faustball und Radfahren – die ersten Jahrzehnte des Vereinssports in Nagold sind von diesen Sportarten geprägt. Da ist also durchaus schon Abwechslung geboten. Doch die Entwicklung des VfL Nagold zu einem breit aufgestellten Mehrspartenverein bekam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine ganz neue Dimension.

 

Die Nachkriegszeit ist in Nagold wie überall in Deutschland geprägt vom Wiederaufbau. Das gilt auch für den Vereinssport in der Stadt. Der liegt nämlich erstmal am Boden, wie so vieles. Und es gibt Wichtigeres zu tun. Zudem verbietet die französische Besatzungsmacht sämtliche Vereine – darunter auch den VfL Nagold. Doch die schönste Nebensache der Welt, der Sport und in diesem Fall vor allem der Fußball, kommt bald wieder zu ihrem Recht. Und so kommt es bereits Ende Dezember 1946 zur Gründung einer Spielvereinigung Nagold, die dann im Jahr 1950 auch wieder ihren alten Namen VfL Nagold annehmen darf und will. Eine ganz prägende Figur: Der Nagolder Unternehmer Gustav Digel ist in diesen Jahren Vorsitzender des Vereins – und wird es bis 1962 bleiben.

 

1948: Die erste wirklich neue Abteilung nach dem Krieg ist Tischtennis: Bereits 1948 gründen Günther Fellmeth und Werner Walz die neue Gruppe. Walz, seines Zeichens Schreinermeister, zimmert die ersten Tischtennisplatten selbst zusammen, und gespielt wird in den Nebenzimmern der Gaststätten „Adler“ und „Waldhorn“. In der Seminarturnhalle tragen die Tischtenniscracks ihre ersten Heimspiele aus. Und 1949 nimmt man erstmals an einer Kreismeisterschaft teil – in Bad Wildbad gewinnt der VfL die ersten zwei Kreismeistertitel.

 

1950 gesellt sich die nächste Abteilung zur VfL-Familie. Viel ist über die Beweggründe zur Gründung der Wintersportler nicht überliefert. Doch ab 1950 besteht die Abteilung offiziell, geleitet wird sie vom damaligen zweiten Vorsitzenden  des Gesamtvereins  Albert Schühle. Und die Wintersportler sind von Anfang an eher auf den Breitensport ausgelegt. In den Anfangsjahren sind zahlreiche Sonntagsausflüge ins „Ruhestein-Schliffkopf-Gebiet“ belegt. Es gilt den Mitgliedern „die Schönheiten und Reize des nahen Hochschwarzwaldes im Winterkleide zu vermitteln“. Dennoch gibt später auch eine Renngruppe. Vor allem aber stellen sich die Wintersportler wie keine zweite VfL-Abteilung in der Breite auf: Neben dem klassischen Wintersport betreibt die Abteilung heute einen Lauftreff, die beliebte Skigymnastik und auch sportlich sehr erfolgreich den Inline-Sport. / Foto oben

 

1964 ist die Geburtsstunde der Basketballabteilung des VfL Nagold. Den Anstoß zur Gründung gibt eine Firmen-Mannschaft der Lüftungsbauer des Unternehmens Teufel. Von Beginn an gehen die Nagolder Basketballer auf Punktejagd – heute kaum noch vorstellbar, in der eigentlich völlig unzureichenden und zu kleinen Iselshäuser Halle. Mit dem Neubau der Lemberghalle 1966 steht den Basketballern zumindest eine etwas größere Halle zur Verfügung. Mit dem Bau eines Spielfelds im Freien auf dem Lemberg und dem Umzug in die OHG-Halle verbessert sich die Trainings- und Spielbedingungen maßgeblich. Vermehrt geht es nun auch um die Bildung von Jugendteams. Mit zum Teil großen Erfolgen. 1984 steigt das Team nach drei Meisterschaften und Aufstiegen in Folge in die höchste baden-württembergische Spielklasse auf, in die Oberliga. Der Basketballsport hat seine Wurzeln in den Staaten. In Deutschland aber wird schon lange Korbball gespielt – auch eine Sportart, die sich aus der Turnerbewegung herausentwickelt hat. Von 1939 ist bekannt, dass die Frauen-Korbballmannschaft des VfL Nagold Kreismeister wird. Und aus dem Jahr 1943 stammt ein altes Foto, das zwei Frauenteams beim Korbballspiel am Alten Turm in Nagold zeigt. Eine Szene, die stark an das heute so beliebte Streetball auf einen Korb erinnert.

 

1967 bekommt auch der Versehrtensport  in Nagold eine offizielle Vereinsheimat. Nach dem Bau der Lemberghalle und des darunterliegenden Lehrschwimmbeckens sind die Voraussetzungen perfekt. Und so kommt es Ende 1966 zur Gründungsversammlung der Versehrtensportabteilung, eine Guppe, die heute nicht mehr besteht. Der Gesundheits- und Breitensport steht klar im Fokus, doch die Versehrtensportler sind auch bei Wettkämpfen erfolgreich, beim Faustball zum Beispiel, in der Leichtathletik oder auch im Schwimmen. Wilhelm Härtter und Bernd Heinrich sind zwei der herausragenden Versehrtensportler des VfL Nagold. Dennoch stehen Themen wie die Rehabilitation, Gesundheit, Erholung und Geselligkeit stets im Mittelpunkt aller Aktivitäten der Abteilung.

 

1970 kann sich auch Nagold der Anziehungskraft des Judo-Sports nicht mehr entziehen. Die Selbstverteidigungssportart erfreut sich in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland immer größerer Beliebtheit. Im Herbst 1970 gründen die Judoka in Nagold eine eigene Abteilung, und eineinhalb Jahre später gibt es die erste Gürtelprüfung mit doch sehr beachtlichen 31 Teilnehmern in Nagold. Judo ist ein echter Trend damals, auch in Nagold eine boomende Sportart, und anfangs ist das Training der mehr als 100 Mitglieder in der viel zu kleinen Turnhalle der Kernenschule eine echte Herausforderung.

Ebenfalls 1970 gründen sich die Kraftsportler – damals noch beim SV Mötzingen, ab 1983 dann als Abteilung des VfL Nagold, und seit 2018 als selbstständiger Verein unter dem Namen WFC Nagold. Einer der sportlichen Höhepunkte ist sicher der Aufstieg in die erste Bundesliga ab dem Jahr 1994. Drei Jahre kann die höchste deutsche Klasse gehalten werden.

 

1973 gründet sich in einem Gasthaus in Rohrdorf die Volleyballabteilung des VfL Nagold  - auch diese Abteilung gibt es heute nicht mehr. Hauptsächlich Lehrerinnen und Lehrer der Nagolder Realschule treiben die Gründung voran. Sie spielen bereits seit Ende der 1960er Jahren zunächst in Iselshausen und dann in Rohrdorf gemeinsam Volleyball. Rund 40 Mitglieder stellt die Abteilung anfangs, in den Hochzeiten steigt die Zahl auf bis zu 150. VfL-Sportler sind auch Teil der erfolgreichen Volleyballspielgemeinschaft Nagold. Letztlich aber ist Nagold zu klein für zwei Volleyballvereine und so hat der Volleyballsport heute im VC Nagold seine Heimat.

 

1974 hält die nächste asiatische Kampfsportart beim VfL Nagold Einzug: Karate. Bereits ein Jahr zuvor findet zum ersten Mal ein Karatetraining statt. Die ersten Karate-Interessierten werden damals von Rainer Wenzel und Peter Wilde in die asiatische Kampfkunst eingeweiht. Der Aufbau einer eigenen Karate-Abteilung beginnt  1974 nach einem die Sportart erklärenden Aufruf in der Zeitung. Der Erfolg ist von Anfang an groß:  Mitte 1974 trainieren schon 40 Aktive regelmäßig, weitere 50 Erwachsene sowie etwa 68 Kinder und Jugendliche zählen zu den Mitgliedern der Abteilung. Im Mai 1974 stößt Ottmar Käser zum VfL Nagold und übernimmt die Abteilungsleitung. Die Lemberghalle wird bald zu klein, so dass 1976 das Training in die Stadthalle verlegt wird. Heute trainieren Nagolds Karateka in der Eisberghalle. / Foto oben

 

1979 kommt der Badmintonsport nach Nagold. Also zumindest zum VfL Nagold. Damals wie heute ist Badminton eine der kleinen Abteilungen des VfL Nagold, wenngleich man zu Hochzeiten schon auch mal um die 100 Mitglieder hat. Die Badminton-Abteilung des VfL Nagold hat ihre Ursprünge unter dem Dach des TSV Rohrdorf, ehe sie dann offiziell zum 1. April 1979 beim VfL Nagold heimisch wird. Nur etwa zehn aktive Spieler greifen in dieser Gründerzeit in Nagold zum Badmintonschläger. Einer von ihnen: der erste Abteilungsleiter Horst Peters, der später auch für einige Jahre Vereinsvorsitzender des VfL Nagold ist. Die Abteilung hat Höhen und Tiefen zu überstehen, ist zwischenzeitlich auch sportlich sehr erfolgreich, 1994 steigt die erste Mannschaft gar in die Landesliga auf, Mitter der 1990er Jahre hat man vier Mannschaften gemeldet. Heute nimmt die Abteilung nicht mehr am Ligabetrieb teil und konzentriert sich ganz auf ein  breitensportliches Angebot. / Foto unten

 

1983 folgt die nächste neue Abteilung: Der Trend rund um das Skaten führt in Nagold zur Gründung der Rollsport-Abteilung. Der aktive Skater Frank "Mad" Goedel treibt die Gründung der Abteilung voran, doch der Gründerwille erliegt recht zügig. Bis ab 1989 eine neue Gruppe Skater in Nagold auf sich aufmerksam macht. Und so kommt es 1990 zur Reaktivierung der Abteilung, diesmal unter der Leitung von Gabriele Brenner. Bis 1992 entsteht am Rande des Badeparks eine Skater-Anlage, auf der auch regelmäßig offizielle Contests durchgeführt werden. Zudem nehmen Mitglieder der Nagolder Skatboard-Abteilung unter anderem an Deutschen Meisterschaften teil. Die Abteilung Skateboard existiert heute nicht mehr. Doch Sport auf Rollen wird beim VfL Nagold weiter betrieben - auf Inlinern unter dem Dach der Wintersportler und mit eigenem Trainings- und Renngelände auf dem Eisberg.

 

1991 entschließt sich der VfL Nagold zur Gründung einer Kindersportschule. Die KISS ist bis heute ein Erfolgsgarant des Vereins und setzt auf ein sportartenübergreifendes spielerisches Training für die jüngsten VfL-Mitglieder. Im selben Jahr wird die Koronarsportgruppe gegründet, unter anderem auf Initiative einiger Nagolder Ärzte. Erster Abteilungsleiter ist Werner Dunz. Auch der Nagolder Koronarsport kommt heute noch regelmäßig zusammen, wenn auch mittlerweile nicht mehr als eigenständige Abteilung sondern als Angebot des Gesamtvereins. Zudem gibt es mittlerweile diverse Rehasportangebote. Unter der Leitung von Claudia Raible gibt es unter anderem Diabetessport, Lungensport und auch Neurosport.

 

2015: Klassischer Schwertkampf gesellt sich nun zu den beim VfL Nagold betriebenen Sportarten dazu. Was als Unterabteilung der Karateka beginnt, ist mittlerweile eine selbstständige VfL-Abteilung, die regelmäßig in der Eisberghalle trainiert.

 

2016 findet eine weitere exotische Sportart unter dem Dach des VfL Nagold eine Heimat: Kyudo wird von Abteilungsleiter und Coach Peter Knipper in Nagold immer weiter ausgebaut. Dabei handelt es sich um eine der klassischen japanischen Kampfkünste, die sich aus den Waffentechniken der Samurai entwickelt hat. Geübt wird mit dem japanischen Langbogen.

 

2020 kommt mit Linedance das jüngste VfL-Kind zum Verein. Die sehr aktive Gruppe trifft sich zweimal die Woche zum Tanz-Training im Sportheim. Linedance ist ein choreografierte Tanzform, bei der einzelne Tänzer unabhängig von der Geschlechtszugehörigkeit in Reihen und Linien vor- und nebeneinander tanzen. Linedance wird zu jeder Musik getanzt, ob Rumba, Walzer, Country, Pop, Rock, Tango. Männer und Frauen gruppieren sich in Linien zusammen und tanzen eine eigens zum Lied entwickelte Choreographie. So tanzt zwar jeder für sich, aber niemals alleine.

Tolle Fotos aus dem VfL-Archiv: Oben, die Wintersportjugend 1978, die Badmintonspieler in den 1980ern. Unten (von links oben im Uhrzeigersinn): Turnerinnen 1949, Radsportabteilung 1961, Korbball am Alten Turm (1943), Faustballer 1970er.